Info II

Vortrag:

„Orofaziale Therapie im Castillo Morales®-Konzept –– Unterstützung kieferorthopädischer Behandlung bei neurologisch betroffenen Kindern und Jugendlichen“

 

Das Castillo Morales® – Konzept ist ein ganzheitliches, neurophysiologisch orientiertes Behandlungskonzept für die Behandlung von sensomotorischen und orofazialen Störungen bei Kindern und Erwachsenen.

Es unterscheidet sich von anderen Konzepten, da eine wichtige Grundlage die Philosophie und Anthropologie der lateinamerikanischen Ureinwohner darstellt, aus der der umfassende Kommunikationsbegriff und die innere Haltung zum Kind entspringen. Respekt vor der Person des anderen und Zutrauen in die Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Entwicklung ist Basis jedes zwischenmenschlichen Kontaktes.

Das Castillo Morales® – Konzept füllte bei seiner Einführung in Deutschland vor 30 Jahren mit seinem orofazialen Teil eine große Lücke. Es verbindet in gelungener Weise eine ganzheitliche Sicht des Kindes und den neurophysiologischen ganzkörperlichen Zugang zum orofazialen Komplex mit der funktionellen Kieferorthopädie: sowohl vorbereitend und unterstützend für die Zahnregulierung als auch mit rationalem Einsatz kieferorthopädischer Geräte für die Rehabilitation. Zum Konzept gehört der Einsatz der stimulierenden Gaumenplatten, vorbereitend oft auch der Mundvorhofplatten. Begleitend können im Verlauf funktionskieferorthopädische Geräte wie Fränkel, Klammt, Bionator u.a. hilfreich sein.

Eine frühzeitige Behandlung mundmotorischer Störungen kann oft schon die Entwicklung von funktionell bedingten Dysgnathien verhindern oder vermindern.

 

Dies gilt z.B. für:

Ø       Kinder mit infantiler Zerebralparese (ICP).

Ober- und Unterkiefer sind bei ihnen oft schmal, der Gaumen wird hoch und schmal. Beides ist  mitbedingt durch mangelndes Abrollen der Zunge am Gaumen beim Kauen und Schlucken, er bekommt dadurch eine gotische Form. An der Formentwicklung von Zahn- und Kieferstellung sind Auswirkungen ausgebliebener Frühbehandlung abzulesen.  Die Seitwärtsbewegungen von Unterkiefer und Zunge sind eingeschränkt. Oft entsteht ein frontal offener Biss bedingt durch Zungendruck und fehlende Aktivität von Ober- und Unterlippe. Der Zungenstoß nach vorne oben und der Druck der marginalen Fasern der Oberlippe auf die Zahnwurzeln – beide bei Spastik am ausgeprägtesten – führen zur Vorkippung der oberen Schneidezähne

Die unteren Schneidezähne werden von Kinnmuskel und Unterlippe einwärts gedrückt.

Beides führt zu einem Rückbiss/Prognathie, entsprechend der kieferorthopädischen Angle-Klasse II,1. Viel seltener entwickelt sich eine Progenie, entsprechend der Angle-Klasse III, nämlich bei überwiegender Muskelhypotonie und Zungendruck nach vorne unten.

Später haben viele Kinder mit ICP nur noch einen Zahnkontakt an den letzten Molaren, bedingt durch zuwenig Kau- und Lippenaktivität, der aber wiederum rein mechanisch die Kaumöglichkeit minimiert

 

Ø       Kinder mit genetischen Syndromen

Bei Kindern mit Trisomie 21 entwickelt sich  durch die muskuläre Hypotonie eine Frontzahnprotrusion, ein offener Biß mit dentoalveolären Komponenten und eine Pseudoprogenie entsprechend Angle Klasse III. Später wird oft der Gaumen spitz-hoch.

Bei der Arthrogryposis multiplex (AMC) können ein offener Biß, eine Kieferklemme und ein

schmaler spitz-hoher Gaumen entstehen.

Kinder mit Angelman Syndrom weisen bei Mittelgesichtshypoplasie und Makrostomie oft eine Progenie auf. Die Zähne stehen lückig.

Offener Biß und gotischer Gaumen sind auch typisch für die Myotone Dystrophie und andere Hypotonie-Syndrome.

Zur Makroglossie und dadurch zum offenen Biss und Progenie kommt es bei lysosomalen Speicherkrankheiten und beim Wiedemann-Beckwith-Syndrom, während bei der Pierre-Robin-Sequenz Mikroglossie und der zu kleine Unterkiefer (Mikro- und Retrogenie) typisch sind.

 

Die therapeutischen Hilfen des Castillo Morales® – Konzepts umfassen ganzkörperliche Einflüsse auf den orofazialen Komplex (Tonusregulierung, Positionen, motorische Ruhehaltung usw.) und direkte Stimulationen im Mund-Gesichtsbereich. Sie bereiten auch den Boden für die Akzeptanz funktionskieferorthopädischer Geräte, und unterstützen während und nach der apparativen Regulation die funktionelle Wirkung.



Kürzeres Informationsseminar
„Mundtherapien“, insbesondere

Orofaziale Therapie im Castillo Morales® - Konzept, und/oder

NEPA (neurophysiologischer Entwicklungsaufbau nach Pörnbacher),

Haberfellner u.a.

 

1. Das Castillo Morales® – Konzept ist ein ganzheitliches, neurophysiologisch orientiertes Behandlungskonzept für die Behandlung von sensomotorischen und orofazialen Störungen bei Kindern und Erwachsenen.

Es unterscheidet sich von anderen Konzepten, da eine wichtige Grundlage die Philosophie und Anthropologie der lateinamerikanischen Ureinwohner darstellt, aus der der umfassende Kommunikationsbegriff und die innere Haltung zum Kind entspringen.

Respekt vor der Person des anderen und Zutrauen in die Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Entwicklung ist Basis jedes zwischenmenschlichen Kontaktes. Das Konzept beinhaltet die Verbesserung der Haltung und Bewegung unter spezifischer Einbeziehung der Sinneswahrnehmungen.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der Behandlung des orofazialen Bereiches, z.B. zur Verbesserung der Kommunikation und Nahrungsaufnahme.

Mit seinem orofazialen Teil füllte das Castillo Morales® – Konzept bei seiner Einführung in Deutschland vor über 20 Jahren eine große Lücke. Es verbindet in gelungener Weise eine ganzheitliche Sicht des Kindes und den neurophysiologischen ganzkörperlichen Zugang zum orofazialen Komplex mit der funktionellen Kieferorthopädie: sowohl vorbereitend und unterstützend für die Zahnregulierung als auch mit rationalem Einsatz kieferorthopädischer Geräte für die Rehabilitation.

Seit den 80er Jahren, in denen das Konzept in Kursen von 2 Wochen Dauer gelehrt wurde, hat es sich sehr erweitert und verfeinert und wird jetzt nur in 6-Wochen-Kursen angeboten.

In dieser Informationsfortbildung werden auch die Neuerungen dargestellt. Sie ersetzt aber keinen Kurs oder einen Teil davon und befähigt nicht zur Anwendung der Therapie.

2. Auch der NEPA ist ein ganzheitliches Konzept, das alle Entwicklungsbereiche abdeckt.

Es wurde von der Dipl.-Logopädin Traudl Pörnbacher erstmals 1977 veröffentlicht und bezieht auf der Basis der Aufrichtung nicht nur die Mundmotorik und das Sprechen mit ein, sondern die ganze Motorik des Körpers, die Augenbewegungsentwicklung und auch die Frühförderung.

 

Die Bauchlagerung (nicht Bauchlage) des Kindes in ca. 30° stellt die natürliche Startbedingung für eine regulierte Entwicklung von Bewegungsabläufen und Sinnesfunktionen dar. Beim gesunden Kind geschieht es spontan aus der Horizontallage heraus, aber beim Kind mit Problemen müssen Schubkräfte in die Aufrichtung mittels therapeutischer Lagerung aktiviert werden, und zwar mit:

·           Funktionseinheit zur Aufrichteaktivierung (Lagerungskeil) mit Abduktions-Element und Ellenbogenblöcken,

·          Therapeutisches Sitzelement (Rotationslagerung) mit höhenverstellbarer   Lagerungsplatte für Ellenbogenauflage und

·          Rollbrett mit Abduktions-Element.

 

Diese Unterlagenveränderungen aktivieren Haltung und Bewegung. Der Lagerungskeil mit Abduktions-Element regt den genetisch veranlagten Antrieb für Abhebung und Vorwärtsbewegung an, verbunden mit Rechts-Links-Rutschen und seitenalternierendem Stützen. Dies entspricht Mustern im Robben, Krabbeln und Laufen und ist immer verbunden mit eigenaktiver Nackenstreckung: Sie ist nötig für koordinierte Mundmotorik sowie für Seh- und Horchorientierung.

 

Das Abduktions-Element hat eine spezielle Rundform, auf der das Kind mal nach rechts, mal nach links rutschen kann, so wie es beim Freispielen der Aufrichtebewegungen mit seinem alternierenden Ellenbogen- und Kniestütz arbeitet. Ein Kind mit gestörter Motorik würde in der horizontalen Bauchlage in asymmetrische Blockade „verfallen“ mit zu viel Beuge- oder zu viel Strecktonus. Dies ist immer begleitet von Kieferöffnung und blockierter Kieferbeweglichkeit.

 

Auf dem Lagerungskeil mit Abduktions-Element erfährt der oropharyngeale Trakt eine Längsspannung. Die Atmung vertieft sich - allein dieser Mechanismus macht die Bauchlagerung auch noch für schwerstbehinderte Menschen jeden Alters zu einer echten Lebenserleichterung. Die Oberlippe kommt vor, die Zunge geht zurück. Im Entwicklungsalter von 2-5 Monaten tritt eine Einstell- und Abnehmbewegung der Lippen und der Zunge auf, sowie das 1.Lallen. Ab 7 Monaten kommt es zu Lippengreiffunktionen, Zungenseit- und Kaubewegungen sowie Silbenketten.

 

Da der Lagerungskeil nach Pörnbacher nicht nur in der Therapie, sondern auch außerhalb als Unterlage zum Spielen und zum Essen dienen kann, wird die eigenaktive Nackenstreckung oft erreicht. Die direkte Mundberührung wird auf ein Minimum reduziert. Im Mundinnern wird meist nicht stimuliert, mit Ausnahme einiger spezifischer kleiner Übungen zur Aktivierung des Kauens, sowie der Zungenblatthebung beim Sprechen; dies ist eine große Erleichterung für das Kind und für den Behandler.

 

Das therapeutische Sitzelement (Rotationslagerung) mit höhenverstellbarer Lagerungsplatte für die Ellenbogenauflage ist ab der 2.Beugephase geeignet, ab ca. 5.-6.Mon, bzw. wenn Rotation erreicht ist. Die Platte ist nicht primär zum Sitzen gedacht, sondern für eine modifizierte Bauchlagerung. Die Ellenbogen sind auf der hohen Lagerungsplatte gestützt, der Rumpf schräg und in Rotation, ein Bein seitlich abgespreizt, die Füße frei. Es entspricht der  Abstemmphase z.B. beim Krabbeln oder Laufen und führt auch zur eigenaktiven Nackenstreckung, s.o.  Durch die größere Beinabspreizung auf der Platte wird der Effekt stärker als beim Kriechen oder Krabbeln. Aus diesem Grund werden keine Fußstützen gegeben.

 

Bei Bedarf kann z.B. bei Artikulationsproblemen zusätzlich mit dem NEPA-Spatelprogramm gearbeitet werden: z.B. aktiviert der an die oberen Schneidezähne angelegte Spatel die differenzierten Zungenbewegungen ab Zungenbewegungsparameter 3 (isolierte Vor- und Rückbewegung des Zungenblattes; Parameter 7 entspricht der vollen Rotationsfähigkeit ab 7 Lebensmonat). Weitere Mittel können spezielle Pipetten, geknickte feste Röhrchen usw. sein, die am „Kaupunkt” über dem oberen Eckzahn am plexus dentalis superior eingebracht werden und - in der aktivierenden Lagerung - die mundnahe Bewegungseinleitung (u.a. wichtig für Lautbildung) verstärken.

 

3. Innsbrucker Sensomotorischer Aktivator und Regulator (I-S-M-A-R) nach Haberfellner

Dem bekannten Prinzip folgend, daß bei Stabilisation proximaler Körperabschnitte die distalen Bewegungen feiner koordiniert werden können, hilft dieses bimaxilläre Gerät dem Kind mit Zerebralparese, sich durch den Aufbiß selbst zu stabilisieren. Zunge, Lippen und Wangen entsprechen den distalen Teilen.

Voraussetzung ist, daß die Kinder eine genügende Haltekontrolle an Rumpf und Extremitäten haben. Bei nicht ständig genügender Haltekontrolle des Rumpfes tragen die Kinder den ISMAR nur sekundenweise. Sobald Tragezeiten von 20 Min. möglich sind, nehmen die Kinder den ISMAR auch in Schlafposition in den Mund. Später können sie ihn tags einige Stunden sowie nachts durchgehend tragen.

Im ersten 1/2 Jahr aber sind nur die großen Aufbißzonen die entscheidenden Hilfen. Frühestens nach einem 1/2 Jahr Tragezeit können Zungen- und Lippenstimulationen angebracht werden. Jede Zungenbewegung wird automatisch auf die Lippen "übertragen" und umgekehrt.

Ziele: Stabilisation fördert Feinbewegung. Differenzierte Veränderungen fördern Mundschluß, häufigeres Schlucken (Speichelfluß), Kauen, Sprechen.

 

Das Seminar kann je nach Interesse zwischen 3-8  Std. dauern und richtet sich an Logopäden, Krankengymnasten, Ergotherapeuten, Zahnärzte, Kieferorthopäden und Ärzte, ist aber auch offen für andere Berufsgruppen.

Referent: Dr. med. Johannes G. Limbrock

Letztes update der Seite: December 25 2016 19:29:56.